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26.09.2011 Wann muss das Finanzamt Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen?
Information

Gemäß § 227 Abs. 1 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Haftungsansprüche gehören (§ 37 Abs. 1 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist.

Nach § 102 Satz 1 FGO ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

Nur wenn der der Finanzbehörde verbleibende Ermessensspielraum derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung ganz bestimmten Inhalts als ermessensgerecht in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen, § 101 Satz 1 FGO (BFH Urteil vom 11. Juli 1996, V R 18/95 BStBl II 1997, 259).

Danach hat die Klägerin Anspruch darauf, dass der Beklagte dem von der Klägerin vorgeschlagenen und von ihren übrigen Gläubigern - bis auf das noch abwartende Finanzamt B - angenommenen Schuldenbereinigungsplan zustimmt und einen insoweit bedingten Erlass ausspricht. Darin ist der Klägerin, nachdem sie innerhalb einer sechsjährigen Tilgungsphase den pfändbaren Teil ihrer Einkünfte an ihre Gläubiger im Verhältnis der Höhe der Hauptschulden zueinander ausgezahlt hat, der Erlass der sich aus der Haftungsinanspruchnahme ergebenden weiteren Schulden einschließlich entstandener Zinsen (Säumniszuschläge) verbindlich auszusprechen.

Persönliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde.
Das ist der Fall, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann. Dabei muss sich der Billigkeitserlass auf die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen konkret auswirken. Genauso wie in Fällen, in denen die Steuerrückstände den jeweiligen Steuerpflichtigen hindern, eine neue selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen und sich so eine eigene, von Sozialhilfeleistungen unabhängige wirtschaftliche Existenz aufzubauen (BFH Urteil v. 27.09.2001 X R 134/98, BStBl. II 2002, 176), ist ein Erlass jedenfalls dann geboten, wenn er die Beibehaltung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage erlaubt und wenn die Steuerrückstände unabhängig von der bisherigen Tätigkeit entstanden sind. Insoweit kann nämlich nur derjenige in den Genuss eines Erlasses kommen, der die mit seiner beruflichen, ihm die Existenz sichernden Tätigkeit zusammenhängenden Steuern entrichtet.

Ohne den bedingten Teilerlass unter Annahme des Schuldenbereinigungsplans wird die bisherige eigene wirtschaftliche Existenz der Klägerin als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht vernichtet. Dass ihr Lebensunterhalt nicht gefährdet ist, weil sie derzeit gegenüber ihrem Ehemann einen Unterhaltsanspruch (§§ 1360 - 1360b BGB) hat, ist insoweit unerheblich. Ihr Unterhaltsanspruch ist zudem nach § 1569 BGB grundsätzlich nur auf die Dauer der Ehe beschränkt, so dass der Klägerin trotz der Ehe der Erhalt einer eigenen wirtschaftlichen Existenz nicht versagt werden kann.

Die Klägerin ist aufgrund ihrer Verpflichtungen aus der Insolvenz der KG und der Komplementär- GmbH überschuldet. Sie ist auch zahlungsunfähig, denn sie kann die sie aus der Insolvenz der KG und der Komplementär- GmbH treffenden, nunmehr fälligen Verpflichtungen nicht erfüllen.

Da die Vermögensverhältnisse der Klägerin, bekannt aufgrund vorgelegter Vermögensverzeichnisse und die Ihr gegenüber bisher vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg dahingehend versprechen, dass der Beklagte oder einer der anderen Gläubiger noch nennenswerte weitere Beträge zur Tilgung der Schulden erzielen können, ist - ohne Abschluss des von allen anderen Gläubigern bis auf den Beklagten angenommenen Schuldenbereinigungsplans - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass einer ihrer Gläubiger einschließlich des Beklagten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin oder die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung beantragt.

Diese im Streitfall allein noch in Betracht kommenden Vollstreckungsmaßnahmen führen zum Widerruf der Anwaltszulassung und vernichten damit die wirtschaftliche Existenz der Klägerin.

§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO sieht wie § 46 Abs. 2 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes in der jetzt geltenden Fassung vor, dass die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen ist, wenn ein Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, wobei ein Vermögensverfall vermutet wird, wenn über das Vermögen des Rechtsanwalts das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder wenn - nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung - gemäß § 284 Abs. 7 AO eine Eintragung in das Schuldnerverzeichnis erfolgt.

Zwar ist eine Widerlegung der Vermutung möglich, aber im Streitfall schlechthin ausgeschlossen. Die vom Gesetzgeber unterstellte Gefahr, dass beim Vermögensverfall eines Rechtsanwalts Mandanteninteressen verletzt werden können, kann durch bestimmte Ausgestaltungen einer Sozietät und eine damit einhergehende enge Kontrolle des jeweiligen Rechtsanwalts ausgeschlossen werden (s. BFH Beschluss v. 04.03.2004, VII R 21/02, BStBl. II 2004, 1016; BGH, Senat für Anwaltssachen Beschluss v. 18.10.2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 f.). Dazu muss der betroffene Rechtsanwalt seine einzelanwaltliche Tätigkeit vollständig und nachhaltig aufgeben, seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausüben und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabreden, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Nur so lässt sich die Einhaltung der verabredeten Maßnahmen zum Schutz der Mandanten dauerhaft und nachhaltig sicherstellen (s. BGH, Senat für Anwaltssachen Beschluss v. 15.09.2008, AnwZ (B) 67/07, Anwaltsblatt 2009, 64 f. mwN.). Diese Möglichkeit steht der Klägerin aber als Einzelanwältin nicht offen. Zudem kann nicht erwartet werden, dass sie in eine Sozietät unter diesen einschränkenden Bedingungen aufgenommen wird.

Eine andere Entscheidung folgt auch nicht aus den vom Beklagten zitierten BFH-Beschluss vom 18.05.1982, VII B 9/82, juris, dem noch eine völlig andere Rechtslage beim Widerruf der Zulassung als Rechtsanwalt zu Grunde lag. Der seinerzeit geltende § 15 Nr. 1 BRAO stellte den Widerruf der Zulassung ins Ermessen der Behörde, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten war und dadurch die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet waren. Anders als der heutige § 14 Abs. 2 BRAO, der kein Ermessen mehr einräumt, war weder der Vermögensverfall definiert noch wurde die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden unterstellt.

Mit dem Entzug der Anwaltszulassung verliert die Klägerin die Möglichkeit, in ihrem erlernten Beruf tätig zu werden und entsprechende Einkünfte zu erzielen. Ohne Zulassung ist der Klägerin insbesondere im Gebiet ihrer Fachanwaltstätigkeit als Fachanwältin für Strafrecht effektiv keine Berufsausübung möglich. Ihre Darstellung insoweit verdeutlicht nur den gerichtsbekannten Umstand, dass eine anwaltliche Strafverteidigung nur durch zugelassene Rechtsanwälte möglich ist und keinen Raum für volljuristische Mitarbeiter ohne Anwaltszulassung bietet.

Soweit der Beklagte meint, der Klägerin sei eine andere juristische Berufstätigkeit zuzumuten, für die es einer Anwaltszulassung nicht bedarf, ist dem nicht zu folgen. Der auch vom Beklagten im Rahmen seiner Maßnahmen zu beachtende Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG schützt die konkret gewählte Berufstätigkeit, so dass ein Verlangen, auf diese zu verzichten, um in den Genuss eines jedenfalls teilweisen Erlasses zu kommen, und zwar durch Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren, schlechthin sachwidrig ist.

Bei diesen beruflichen Aussichten der Klägerin erscheint es auch ausgeschlossen, dass es ihr gelingen könnte, ein über einen langen Zeitraum ratenweise zu tilgendes Darlehen zur Umschuldung aufzunehmen.

Der Entzug der Anwaltszulassung kann nur durch Zustimmung des Beklagten zu dem Schuldenbereinigungsplan verhindert werden, und nicht durch bloßes Nichtstellen des Insolvenzantrags. Findet nämlich keine Schuldenbereinigung statt, beseitigt - auch bei Untätigkeit des Beklagten - jeder dann mögliche Insolvenzantrag mit der Folge einer Insolvenzeröffnung die wirtschaftliche Existenz der Klägerin. Erst mit dem Abschluss von Vereinbarungen mit den Gläubigern, aufgrund derer zu erwarten ist, dass es nicht mehr zu Vollstreckungsmaßnahmen kommen wird, kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, eine Gefährdung der Mandanteninteressen ausgeschlossen ist und ein Widerruf der Anwaltszulassung nicht in Betracht kommt (s. BFH Urteil v. 30.03.2004, VII R 56/03, BFH/NV 2004, 1426 f.).

Im Weiteren kann offen bleiben, ob die Zustimmung zum Schuldenbereinigungsplan nicht schon deshalb ohne wirkliche Alternative ist, da eine nicht unerhebliche Teilbefriedigung zu erwarten, andernfalls aber nicht mit einem Erfolg der Einziehung der Steuer und der Befriedigung der Forderungen der übrigen öffentlichen Gläubigern zu rechnen ist.

Eine den Erlass hindernde Erlassunwürdigkeit der Klägerin ist nicht erkennbar.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt ein Billigkeitserlass aus persönlichen Gründen grundsätzlich die Erlasswürdigkeit des Steuerpflichtigen voraus, die nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (BFH Beschluss v. 08.07.2004, VII B 35/04, BFH/NV 2004, 1621 f.) Sie ist nicht gegeben, wenn dieser seine mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat (s. BFH Beschluss v. 30.09.1996, X B 131/96, BFH/NV 1997, 326; Beschluss v. 28.01.1991, V B 164/90, BFH/NV 1991, 571; Urteil v. 29.04.1981, IV R 23/78; Urteil v. 14.11.1957, IV 418/56 U, BStBl. III 1958, 153). Ihre mangelnde Leistungsfähigkeit hat die Klägerin nicht selbst herbeigeführt, indem sie untätig geblieben ist und sich nicht um eine Erwerbstätigkeit bemüht hat. Vielmehr geht es ihr mit den von ihr betriebenen Verfahren gerade darum, tätig bleiben zu können.

Im Übrigen hat der Beklagte unbeachtet gelassen, dass selbst bei fehlender Erlasswürdigkeit ein Erlass ausnahmsweise geboten sein kann, wenn die Durchsetzung der Haftungsforderung existenzvernichtend ist. Insoweit ist das Allgemeininteresse, festgesetzte Abgaben einzuziehen, gegen die Pflichtverletzung abzuwägen (BFH Beschluss vom 15.10.1992, X B 152/92, BFH/NV 1993, 80 f.). Eine Abwägung insoweit hat der Beklagte aber nicht vorgenommen, obwohl diese gerade hier geboten gewesen wäre. Selbst wenn nämlich grob fahrlässiges Verhalten wie das Unterlassen einer Kontrolle eine Erlassunwürdigkeit begründen könnte (s. BFH Beschluss v. 04.07.1986, VII B 56/86, BFH/NV 1987, 20 ff., 23; Beschluss v. 22.03.1983, IV B 41/82, juris), ist die Erlasswürdigkeit nicht von vornherein zu verneinen (BFH Urteil v. 09.03.1983, I R 93/81, juris). Insbesondere wäre zu erwägen gewesen, ob die unterlassene Kontrolle durch die Klägerin für den eingetretenen Steuerschaden ursächlich war. Angesichts der tatsächlichen Gesellschafterstellung des Vaters hätte ein ernsthafter Versuch der Klägerin, die Tätigkeit ihres Vaters in Bezug auf die KG zu kontrollieren, auch nur ihre Abberufung als Geschäftsführerin zur Folge haben können, ohne dass aber der Steuerschaden vermieden worden wäre.

Im Hinblick auf die vorgenannten Ausführungen kann offen bleiben, ob die Anforderungen an die Erlasswürdigkeit angesichts der wesentlich großzügigeren Regelungen des § 290 Abs. 1 InsO für die Versagung einer Restschuldbefreiung nicht überdacht werden sollten.

Die Sache ist auch spruchreif. Eine Aufhebung des Bescheids des Beklagten mit bloßer Verpflichtung zur Neubescheidung kam im Streitfall nicht in Betracht. Das Ermessen des Beklagten ist nämlich derart eingeschränkt, dass wegen des mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit drohenden Widerrufs der Zulassung der Klägerin zur Rechtsanwaltschaft ihre berufliche und wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht, wenn die Haftungsforderung beigetrieben wird. Bei sachgerechter Abwägung zwischen dem hohen öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der Haftungsforderung und dem nicht minder gewichtigen Interesse der Klägerin an der Erhaltung ihrer beruflichen und wirtschaftlichen Existenz gebührt diesem Interesse jedenfalls im Streitfall wegen des verfassungsrechtlichen Gewichts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Vorrang.

 

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 24. Februar 2010 Aktenzeichen 4 K 212/10 AO

 

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Verfasser: Kulzer MBA Fachanwalt für Insolvenzrecht
 
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