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07.02.2018 Zahlungsunfähig/ Werden die Passiva II berücksichtigt?
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Bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit werden zum Stichtag die fälligen Verbindlichkeiten den liquiden Vermögenswerten gegenübergestellt. Wenn eine Unterdeckung von mehr als 10 Prozent vorhanden ist, muss man prüfen, ob diese Lücke innerhalb der nächsten drei Wochen ausgeglichen werden kann.

Dabei müssen die neuen Einnahmen betrachtet werden. Gleichzeitig musste man auch die neu entstehenden Verbindlichkeiten einbeziehen. Es war allerdings nicht höchstrichterlich entschieden, ob diese Passiva II einbezogen werden müssen oder ob dies nur aus Vorsichtsgesichtspunkten erfolgen soll.

Der BGH hat entschieden.

Es war der zweite Zivilsenat der Bundesgerichtshofs.

Leitsatz: 

Auch die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) sind bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen.)

 

Die Einbeziehung der Passiva II in die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO war bisher höchstrichterlich nicht geklärt und in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur umstritten.

 

1. Liquiditätsstatus
Nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs sind in der Liquiditätsbilanz zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (vgl. Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 138 ff.; Urteil vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 28; Urteil vom 14. Mai 2009 - IX ZR 63/08, ZIP 2009, 1235 Rn. 37; Urteil vom 29. März 2012 - IX ZR 40/10, WM 2012, 998 Rn. 8; Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 19; Urteil vom 7. Mai 2013 - IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 15; Urteil vom 8. Januar 2015 - IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 13; Urteil vom 12. Februar 2015 - IX ZR 180/12, ZIP 2015, 585 Rn. 18).

2. Teilweise Ablehnung der Einbeziehung in der Literatur 

In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Hamburg, BeckRS 2009, 25496) und in der Literatur wird die Einbeziehung der Verbindlichkeiten, die erst innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag entstehen, unter Berufung auf die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats teilweise abgelehnt (G. Fischer, Festschrift Ganter, 2010, S. 153, 158 ff.; Becker/Jansen/Müller, DStR 2009, 1660, 1661; Bruns, EWiR 2005, 767, 768).

3. Herrschende Literatur für Einbeziehung
Der weit überwiegende Teil des Schrifttums spricht sich für eine Einbeziehung der im Dreiwochenzeitraum fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten aus
(vgl. nur Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., vor § 64 Rn. 19; Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 3. Aufl., § 17 InsO Rn. 6; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 64 Rn. 48; MünchKommInsO/Eilenberger, 3. Aufl., § 17 Rn. 19 f.; Gehrlein in Gehrlein/ Born/Simon, GmbHG, 3. Aufl., vor § 64 Rn. 9; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., vor § 64 Rn. 15; KK-InsO/Hess, § 17 Rn. 39; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl., § 17 Rn. 18; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., Anh. zu § 64 Rn. 13; Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl., § 17 Rn. 85; Mönning/Gutheil in Nerlich/Römermann, InsO, Stand: August 2014, § 17 Rn. 36; MünchKommGmbHG/Müller, 2. Aufl., § 64 Rn. 15; M. Schmidt-Leithoff/Schneider, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl., vor § 64 Rn. 105; HambKommInsO/Schröder, 6. Aufl., § 17 Rn. 16; Bork, ZIP 2008, 1749, 1751 ff.; Frystatzki, NZI 2010, 389, 390 f.; Ganter, ZinsO 2011, 2297, 2299 ff.; Hölzle, ZIP 2007, 613, 615; Krauß, ZinsO 2016, 2361, 2362 ff.; Pape, WM 2008, 1949, 1952; Plagens/Wilkens, ZinsO 2010, 2107, 2114 ff.; Weber/Küting/Eichenlaub, GmbHR 2014, 1009, 1010 f.; Brahmstaedt, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, 2012, S. 172 ff.; Dittmer, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 2013, S. 151 ff.; Prager/Jungclaus, Festschrift Wellensiek, 2011, S. 101, 105 ff.; Kayser, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Insolvenzrecht, 6. Aufl., Kapitel I A.II.1. Rn. 16; ähnlich auch K. Schmidt in K. Schmidt, InsO, 19. Aufl., § 17 Rn. 23, 25, 29).

4. Begründung des Bundesgerichtshofs
Der Senat folgte der Auffassung, dass die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten des Schuldners bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO in Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung zu berücksichtigen sind.

(1) Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist insoweit unergiebig. Ihm ist bereits nicht zu entnehmen, ob bei der Beurteilung der Liquidität überhaupt künftige Entwicklungen einzubeziehen sind. Vielmehr könnte die Vorschrift rein wortlautmäßig auch im Sinne einer bloßen Stichtagsbetrachtung verstanden werden, bei der weder künftige Verpflichtungen noch erst künftig zur Verfügung stehende Mittel zu berücksichtigen sind (vgl. Ganter, ZinsO 2011, 2297, 2299; Graf-Schlicker/Bremen, InsO, 4. Aufl., § 17 Rn. 16 a.E.). 

(2) Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass der Begriff der Zahlungsunfähigkeit nicht rein stichtagsbezogen zu verstehen ist. Vielmehr ist auch die zeitliche Dauer einer etwaigen Liquiditätslücke zu berücksichtigen, um die Zahlungsunfähigkeit von einer nur vorübergehenden Zahlungsstockung abzugrenzen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung,BT-Drucks. 12/2443, S. 114). Nach Auffassung des Gesetzgebers braucht im Gesetz nicht besonders zum Ausdruck gebracht werden, dass eine vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungsunfähigkeit begründe, da es sich von selbst verstehe, dass ein Schuldner, dem in einem bestimmten Zeitpunkt liquide Mittel fehlen, der sich die Liquidität aber kurzfristig wieder beschaffen könne, im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO (damals § 21 InsO-E) in der Lage sei, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Einer näheren Definition der Zahlungsunfähigkeit in zeitlicher Hinsicht - ebenso wie hinsichtlich ihrer Größenordnung - hat der Gesetzgeber sich nach der weiteren Gesetzesbegründung bewusst enthalten, um einer übermäßig einschränkenden Auslegung des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit, etwa durch Annahme einer bloßen Zahlungsstockung auch bei einer über Wochen oder gar Monate fortbestehenden Illiquidität, entgegenzuwirken (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443, S. 114).

(3) Systematisch führt die Einbeziehung der im Dreiwochenzeitraum anfallenden weiteren Verbindlichkeiten zu keinen Abgrenzungsproblemen gegenüber der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO.

Zwar erfolgt die Prüfung der eingetretenen und der drohenden Zahlungsunfähigkeit damit anhand derselben Kriterien, da bei Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 Abs. 2 InsO nach allgemeiner Meinung entsprechend dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch erst künftig fällig werdende Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443, S. 114 f.; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - IX ZR 93/11, ZIP 2014, 183 Rn. 10; Urteil vom 22. Mai 2014 - IX ZR 95/13, ZIP 2014, 1289 Rn. 33; Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl., § 18 Rn. 43 ff.).

Der Unterschied besteht jedoch darin, dass eingetretene Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wenn der Schuldner eine bereits am Stichtag vorhandene Liquiditätslücke von 10 % oder mehr nicht innerhalb von drei Wochen schließen kann, während eine solche Liquiditätslücke bei drohender Zahlungsunfähigkeit noch nicht besteht, sondern unter Berücksichtigung des weiteren Verlaufs voraussichtlich (erst künftig) eintreten wird (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966 Rn. 10; Urteil vom 8. Oktober 2009 - IX ZR 173/07, ZIP 2009, 2253 Rn. 11).

Damit verbleibt auch bei Berücksichtigung der Passiva II im Rahmen des § 17 InsO ein davon abgrenzbarer Anwendungsbereich des § 18 InsO in der Zeit vor und nach Ablauf des dreiwöchigen Prognosezeitraums. Ist der Schuldner innerhalb dieses Prognosezeitraums nicht in der Lage, seine Liquiditätslücke zu schließen, ist er am Stichtag bereits zahlungsunfähig, so dass sich die Frage einer drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht mehr stellt. Ergibt die Liquiditätsprüfung hingegen, dass er seine Liquiditätslücke innerhalb dieser Frist schließen kann, gilt der Schuldner zum Stichtag als zahlungsfähig. Da ihm innerhalb der drei Wochen auch genügend liquide Mittel zur Deckung seiner Verbindlichkeiten zur Verfügung stehen, droht für diesen Zeitraum auch keine Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO. Sowohl vor als auch nach Ablauf des Prognosezeitraums stellt sich aber die Frage, ob dann ggf. mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - IX ZR 93/11, ZIP 2014, 183 Rn. 10; Beschluss vom 5. Februar 2015 - IX ZR 211/13, ZinsO 2015, 841 Rn. 13) von einer in Zukunft drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO auszugehen ist, weil später mit einer erheblichen, nicht mehr schließbaren Liquiditätslücke zu rechnen ist (vgl. Bork, ZIP 2008, 1749, 1752; Brahmstaedt, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit, 2012, S. 175; Dittmer, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 2013, S. 153).

Zudem spricht in systematischer Hinsicht gerade der Umstand, dass eingetretene und drohende Zahlungsunfähigkeit aufeinander bezogene Insolvenzgründe sind (BGH, Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966 Rn. 10; Urteil vom 8. Oktober 2009 - IX ZR 173/07, ZIP 2009, 2253 Rn. 11), dafür, zur Vermeidung von Brüchen auch im Rahmen von § 17 InsO die innerhalb des Dreiwochenzeitraums fällig werdenden Verbindlichkeiten einzubeziehen (vgl. Ganter, ZinsO 2011, 2297, 2301 f.; Prager/Jungclaus in Festschrift Wellensiek, 2011, S. 101, 116).

(4) Auch das in der Gesetzesbegründung zur Insolvenzordnung zum Ausdruck kommende Regelungsziel des Gesetzgebers spricht für eine Einbeziehung der Passiva II.

Ziel des Gesetzgebers war es, mit der Insolvenzordnung eine gegenüber der Konkursordnung frühzeitigere Verfahrenseröffnung zu erreichen, um damit die Sanierungsmöglichkeiten zu verbessern oder - falls das Vermögen liquidiert werden muss - die Insolvenzmasse weitgehend zu erhalten und bessere Verwertungsergebnisse zu erzielen, eine rechtsstaatlich korrekte gleichmäßige Gläubigerbefriedigung zu gewährleisten und die Rechte etwaiger Arbeitnehmer und den Schutz des Rechtsverkehrs zu wahren (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443, S. 80 f.).


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Verfasser: Hermann Kulzer MBA, Fachanwalt für Insolvenzrecht
 
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