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28.10.2010 Bagatellkündigung: Frikadelle ist keine Bagatelle
Information Sehr geehrte/r Leser/in, das sogenannte "Emmely-Urteil" des Bundesarbeitsgerichts ((BAG, Urteil v. 10.06.2010, Az.: 2 AZR 541/09) sorgte für große Aufregung. Die Supermarktkassiererin wurde nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit außerordentlich gekündigt, weil sie zwei Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 Euro eingelöst hatte. Die Kündigung der Arbeitnehmerin wurde vom BAG als unzulässig eingestuft. 1. Bagatellen im Strafrecht Im Strafrecht versteht man unter sog. Bagatelldelikten Eigentums- und Vermögensstraftaten, die nur einen geringen Wert zum Gegenstand haben. Bagatellstraftaten werden gemäß § 248a StGB nur auf eine Anzeige hin verfolgt, es sei denn, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Die Strafgerichte haben im Laufe der Zeit Werte von 20 bis 30 Euro und schließlich in neuerer Zeit bis zu 50 Euro anerkannt. 2. Gibt es Bagatellen im Arbeitsrecht? Bagatellgrenzen finden sich im Arbeitsrecht nicht. Das Bundesarbeitsgericht sieht in dem Emmely-Urteil wieder bestätigt, dass nach seiner Meinung kein Wertungswiderspruch zu § 248a StGB vorliegt. Denn bei solchen verhaltensbedingten Kündigungen gilt nicht das Sanktions-, sondern das Prognoseprinzip: Danach ist eine verhaltensbedingte Kündigung immer gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht zu erwarten ist und künftige Pflichtverstöße nur durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermieden werden können. 3. Hat der Wert des Objekts Einfluss auf die Kündigung? Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte lässt grundsätzlich auch Eigentums- und Vermögensdelikte für eine außerordentliche Kündigung ausreichen, unabhängig davon, um welche Summe es sich handelt. Die Pflichtverletzung kann also für eine fristlose Kündigung gemäß § 626 Absatz 1 BGB genügen. Nach Ansicht der Arbeitsgerichte ist Grund für die Kündigung nicht die Pflichtverletzung selbst, sondern das hierdurch gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, d. h. der aus dem Delikt herrührende Vertrauensverlust. Seit seiner Bienenstichentscheidung hat das Bundesarbeitsgericht immer wieder bestätigt, dass grundsätzlich auch die Entwendung geringwertiger Sachen des Arbeitgebers eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Ob dies tatsächlich gerechtfertigt ist, muss jedoch stets anhand des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden (BAG, Urteil v. 17.05.1984, Az.: 2 AZR 3/83). 4. Wie erfolgt die Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung? Die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Absatz 1 BGB wird in zwei Stufen geprüft. 1. Stufe: es muss ein wichtiger Grund vorliegen 2. Stufe: es sind alle wichtigen Begleitumstände zu berücksichtigen Hier kommt es entscheidend auf den Einzelfall an und die Interessen sowohl von Arbeitgeber als auch von Arbeitnehmer müssen gegeneinander abgewogen werden. Das Ergebnis dieser Abwägung muss lauten, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist unzumutbar erscheint. An zweiter Stelle wird beispielsweise der Verschuldensgrad des Arbeitnehmers, die Schadenshöhe auf Arbeitgeberseite, das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Tat, die Aufgabenstellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Dauer der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt. 5. Ist eine Abmahnung bei Eigentumsverletzung erforderlich? Eine Kündigung aus wichtigem Grund setzt grundsätzlich eine Abmahnung voraus. Das gilt auch oder gerade bei geringfügigen Pflichtverletzungen. Doch anders sieht es bei Eigentums- und Vermögensdelikten aus, durch die der Arbeitgeber geschädigt wird. Die Loyalität zum Arbeitgeber ist eine bedeutende Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis. Wird durch den Diebstahl, Betrug oder die Unterschlagung der Arbeitgeber geschädigt, war bislang eine Abmahnung nicht immer erforderlich. Denn die Pflichtverletzung ist so schwer, dass eine zukünftige Vertragstreue des Arbeitnehmers das gestörte Vertrauensverhältnis nicht wiederherstellen kann. (BAG, Urteil v. 11.12.2003, Az.: 2 AZR 36/03) 6. Was ist im Fall Emmely das Besondere? Erste Stufe: Bagatelldelikte können - unabhängig vom Wert des Tatgegenstandes - grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Zweite Stufe: Hier sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und die Interessen gegeneinander abzuwägen: hier wurde die lange Betriebsangehörigkeit so stark zugunsten von Emmely gewichtet, dass sie eine Kündigung als unverhältnismäßig beurteilten Laut BAG hätte eine Abmahnung ausgereicht. Im Gegensatz zur Vorinstanz haben die BAG-Richter im Rahmen der Interessenabwägung unter Einbeziehung aller erheblichen Tatsachen die Gewichtung zugunsten der Arbeitnehmerin verlagert. Zu beachten ist, dass viele Bagatellkündigungen Verdachtskündigungen darstellen, bei denen weitere Punkte zu beachten sind. 7. Urteile vor und nach Emmely - Fälle a) Bargeld - 6 Euro Das Landesarbeitsgericht (LAG) in Rostock hat die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Diebstahls kleinerer Bargeldmengen i. H. v. 3, 4 und 6 Euro aus einer Spendenkasse und unter Verwendung eines Generalschlüssels für zulässig bewertet (Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 02.06.2009, Az.: 5 Sa 237/08). Folgende Gerichte entschieden zum Beispiel zugunsten des Arbeitnehmers: b) Brotaufstrich Das Landesarbeitsgericht Hamm zeigte sich gnädig gegenüber einem gekündigten Bäcker, der Brotaufstrich im Wert unterhalb von 10 Cent verzehrt hatte (LAG Hamm, Urteil v. 18.09.2009, Az.: 13 Sa 640/09). c) altes Kinderbett In Baden-Württemberg hat das Landesarbeitsgericht zugunsten eines Angestellten einer Abfallentsorgungsfirma entschieden, der weisungswidrig ein entsorgtes, nicht recyclingfähiges Kinderbett mitgenommen hatte, das für den Arbeitgeber keinen Wert mehr hatte (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 10.02.2010, Az.: 13 Sa 59/09). d) alte Essenmarke Das Arbeitsgericht Reutlingen hat einem Manager Recht gegeben, der gekündigt worden war, weil er in der Kantine eine nicht übertragbare und namentlich ausgestellte Essensmarke für das Mittagessen seiner Freundin im Wert von 80 Cent eingelöst hatte (ArbG Reutlingen, Urteil v. 11.05.2010, Az.: 2 Ca 601/09). e) Strom für handy Das Landesarbeitsgericht Hamm bewertete die Kündigung eines Arbeitnehmers für unverhältnismäßig, der seinen Elektroroller am Arbeitsplatz mit Strom im Wert von 1,8 Cent aufgeladen hatte (LAG Hamm, Urteil v. 02.09.2010, Az.: 16 Sa 260/10). f) Schrauben Ähnlich urteilte das Arbeitsgericht Bonn. Ein Betriebsratsvorsitzender sollte fristlos gekündigt werden, weil er einem ehemaligen Kollegen drei Schrauben im Wert von 28 Cent des Arbeitgebers geschenkt hatte. Nachdem sich der Betriebsrat geweigert hatte, der Kündigung zuzustimmen, beantragte der Arbeitgeber beim Bonner Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates. Doch das Gericht lehnte dies ab und folgte der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts. Der Arbeitnehmer war bereits seit 30 Jahren in dem Betrieb beschäftigt, hatte den Vorfall nicht geleugnet und sofort bedauert, die drei Schrauben verschenkt zu haben (ArbG Bonn, Beschluss v. 21.10.2010, Az.: 1 BV 47/10 - zum Zeitpunkt der Beitragserstellung noch nicht rechtskräftig). 8. Ausblick Klarheit hat das Emmely-Urteil noch nicht hergestellt. Es wird sich zeigen, wie die Arbeitsgerichte das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Zukunft bei ihrer Entscheidung einfließen lassen. Vielleicht gibt es auch eine gesetzliche Regelung für Bagatell- und Verdachtskündigungen. Arbeitnehmern sei geraten, sich nicht in Versuchung führen zu lassen. Das Einstecken einer "Frikadelle" kann nach wie vor den Arbeitsplatz kosten. Hermann Kulzer MBA Rechtsanwalt insoinfo
Verfasser: Hermann Kulzer, MBA Fachanwalt für Insolvenzrecht
 
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