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Insolvenzrecht A bis Z
Insolvenzkultur (neue) nach ESUG
Wir brauche eine neue Insolvenzkultur, forderte die Justizministerin Leuthheusser Scnarrenberg am 17.03.2010 auf dem Siebten Deutschen Insolvenzrechtstag in Berlin.

Sie forderte, dass der Insolvenzverwalter nicht der Bestatter, sondern Lebens- oder Frimenretter sei.

Ein Insolvenzverfahren dürfe nicht mehr als Stigma, sondern als Instrument der Sanierung verstanden werden.

In Deutschland müsse - wie in den USA- eine Insolvenzkultur der zweiten Chance wachsen.

Dies soll durch das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Gesellschaften (ESUG)umgesetzt werden.

Dazu sollen eine Stärkung der Eigenverwaltung und eine Verbesserung des Insolvenzplanverfahrens beitragen.


Was ist die neue Insolvenzkultur?

2012: Aufbruch in eine neue Insolvenzkultur
oder:

Schuldner im Mittelpunkt,  höhere Quoten, raschere Verfahren, mehr Rechte für die Gläubiger, weniger Macht den Insolvenzverwaltern, weinger Bestattungen, mehr Fortführungen, mehr Insolvenzplanverfahren, viel mehr Eigenverwaltungen, schnellere Verfahrenseinleitungen, weniger Angst der Geschäftsführer vor einer Entmachtung und Zerschlagung, weniger Blockaden von Störern.




Die Rede der Ministerin im Wortlaut:

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger MdB beim 7. Deutschen Insolvenzrechtstag der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im Deutschen Anwaltverein am 17. März 2010 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Piepenburg,
sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mittlerweile gute Tradition geworden, dass die Bundesjustizministerin beim Deutschen Insolvenzrechtstag spricht, und mir ist es aus zwei Gründen sehr wichtig, diese Tradition fortzusetzen:

Erstens hat Deutschland im vergangenen Jahr die schwerste Rezession seit Kriegsende erlebt, was auch die Bedeutung des Insolvenzrechts erneut unterstrichen hat; und zweitens hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Reform des Insolvenzrechts das wichtigste Vorhaben im Wirtschaftsrecht ist. Wir planen weitreichende Reformen und dazu brauchen wir auch die Erfahrung und den Rat der Praktiker. Deshalb freue ich mich auf einen anregenden Austausch und auf eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen, lieber Herr Piepenburg, und mit der gesamten Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im Anwaltverein.

Meine Damen und Herren,
im vergangenen Jahr beliefen sich die Schäden für unsere Volkswirtschaft durch Insolvenzen auf geschätzt fast 50 Milliarden Euro. Große und namhafte Traditionsunternehmen sind zusammengebrochen - ich nenne nur Arcandor, Quelle, Schiesser, Märklin und Rosenthal. Insgesamt haben knapp 33.000 Unternehmen Insolvenz angemeldet, das ist ein Anstieg um rund 12 Prozent. Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Rezession und die Finanzmarktkrise die Stabilität der Unternehmen stark angegriffen haben.

Der Arbeitsmarkt ist trotz dieser Zusammenbrüche erfreulicherweise recht stabil geblieben, gleichwohl ist auch die Zahl der Verbraucherinsolvenzen um 3 Prozent auf über 100.000 Personen angestiegen. Wir müssen befürchten, dass sich dieser Trend noch in diesem Jahr fortsetzt.

Alles in allem ist diese Wirtschaftskrise daher auch ein Härtetest für unser Insolvenzrecht. Die Insolvenzordnung hat sich zwar im Großen und Ganzen bewährt, es haben sich aber auch Schwachstellen gezeigt. Zugleich hat uns die Finanzmarktkrise auch vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Die Politik muss aus dieser Krise lernen, die richtigen Schlüsse ziehen und das Recht so verändern, dass die Krise erfolgreich bewältiget werden kann und besonders für die Zukunft besser gerüstet ist. Die Bundesregierung ist entschlossen, diese Aufgabe angesichts ihrer Größe in drei Stufen anzugehen.

In der ersten Stufe werden wir den dringendsten Reformbedarf abarbeiten. Mein Ziel ist, dass das Insolvenzrecht noch stärker als Chance zur Sanierung eines Unternehmens begriffen wird. Dazu brauchen wir in Deutschland einen Mentalitätswandel, wir brauchen eine andere Insolvenzkultur. Damit sich in den Köpfen etwas ändert, muss aber auch im Gesetz manches anders werden. Wir brauchen Reformen beim Planverfahren und bei der Eigenverwaltung. Beides soll dazu beitragen, dass Insolvenzanträge rechtzeitiger gestellt und die Chancen zur Sanierung noch besser genutzt werden.

In der ersten Stufe werden wir außerdem ein Reorganisationsverfahren für systemrelevante Kreditinstitute schaffen. Das ist eine ganz wichtige Konsequenz aus der Finanzmarktkrise. Wir wollen außerdem die Insolvenzordnung mit Blick auf Clearinghäuser modifizieren, ein Insolvenzstatistikgesetz in Angriff nehmen und die Privilegien der Sozialkassen bei der Insolvenzanfechtung abschaffen.

In einer zweiten Stufe werden wir uns dann mit dem Verbraucherinsolvenzrecht beschäftigen. Dort wollen wir insbesondere die lange Wohlverhaltensperiode bei der Restschuldbefreiung abkürzen. Außerdem werden wir darüber nachdenken, ob wir ein neues Sanierungsverfahren schaffen, das einer Insolvenz vorgelagert wird.

Längerfristige Ziele, die wir in einer dritten Stufe angehen werden, sind dann Regelungen für die Konzerninsolvenzen und die Insolvenzverwalter.

Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich zu einigen Schwerpunkten dieser drei Pakete etwas konkreter werden.

[1. Stufe: Neue Insolvenzkultur + Inso-Verfahren für systemrelevante Banken]

Fangen wir mit der ersten Stufe an und beginnen wir mit der Eigenverwaltung und dem Planverfahren. Wir haben es hier zu einem guten Teil mit einem psychologischen Problem zu tun. Im Unterschied zu manch anderen Ländern fehlt es in Deutschland noch an einer "Insolvenzkultur". Der Insolvenzverwalter gilt in der Öffentlichkeit eher als Bestatter und nicht als Lebensretter. Die Insolvenz erscheint noch viel zu sehr als persönliches Versagen und vollständiges wirtschaftliches Scheitern. Dass das Insolvenzverfahren auch ein Instrument der Sanierung ist, wird dagegen zu wenig wahrgenommen. Stattdessen ist die Insolvenz noch immer ein beträchtliches Stigma, und eine Kultur der zweiten Chance gibt es bei uns - anders als etwa in den USA - noch immer nicht. Nur 2 Prozent der zahlungsunfähigen Unternehmen nutzen heute den Weg über eine Plansanierung.

Diese Mentalität hat fatale Konsequenzen - im Gesetz und bei den Betroffenen. Im Gesetz ist die Eigenverwaltung eines insolventen Unternehmens zu restriktiv ausgestaltet, und notleidende Unternehmer stellen leider oft viel zu spät den Insolvenzantrag. Ist die letzte Masse verbraucht, dann nützt aber auch das beste Sanierungskonzept nichts mehr. Wir müssen daher vor allem erreichen, dass Anträge so früh wie nötig gestellt werden.

Ein Anreiz dafür könnte es sein, das Institut der Eigenverwaltung zu stärken. Der Grund dafür, dass insolvente Unternehmer vor einem Antrag zurückschrecken, liegt oft in der Sorge die Kontrolle über das eigene Unternehmen an den Insolvenzverwalter zu verlieren.

Gleichzeitig müssen wir die Skepsis gegenüber der Eigenverwaltung ablegen. Sie wird heute in weniger als 1 Prozent der eröffneten Unternehmensinsolvenzen angeordnet. Dahinter steckt bei vielen das Vorurteil, man würde bei der Eigenverwaltung den Schuldner zu seinem eigenen Gerichtsvollzieher machen. Es ist an der Zeit, sich von solchen Vorstellungen endlich zu lösen und etwas mutiger zu werden. Babcock Borsig, Ihr Platz und Kirch - diese und andere Unternehmen haben eine erfolgreiche Sanierung unter Eigenverwaltung geschafft.

Zu einer größeren Verbreitung der Eigenverwaltung könnte es beitragen, wenn wir deren Voraussetzungen großzügiger formulieren und die Gerichte verpflichten, dass sie darauf hinweisen müssen, wenn sie eine beantragte Eigenverwaltung ablehnen wollen. Dann könnte der Schuldner seinen Antrag gegebenenfalls auch zurücknehmen.

Eng damit verknüpft ist die viel diskutierte Stärkung des Gläubigereinflusses auf die Verwalterbestellung. Erfolgreiche Sanierungen im Planverfahren gelingen besonders dann, wenn Einigkeit unter den Beteiligten über den Fahrplan besteht und sie Gewissheit haben, mit wem sie sich auf die Reise begeben. Die wesentlichen Gläubiger müssen daher zur Person des künftigen Insolvenzverwalters gehört werden und noch besser wäre es, wenn sie ein eigenes Vorschlagsrecht bekämen. Institutionell absichern könnte man so etwas durch einen vorläufigen Gläubigerausschuss.

Im Planverfahren selbst sehe ich den Handlungsbedarf vor allem darin, Hemmnisse und Verzögerungen abzubauen. Sinnvolle Lösungen dürfen nicht an der Blockade Einzelner scheitern. Wir sollten daher Rechtsmittel gegen die Planbestätigung moderat beschränken. So könnte man einzelne Gläubiger, die sich durch den Plan schlechter gestellt sehen als im Falle der Liquidation, darauf verweisen, dass sie ihre Belange außerhalb des Planbestätigungsverfahrens geltend machen. Der Rechtsstreit würde dann nicht mehr das Wirksamwerden des Plans behindern. Außerdem liegt es nahe, dass die sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigung nur dann zulässig ist, wenn der Beschwerdeführer seine verfahrensmäßigen Möglichkeiten gegen den Plan zuvor ausgeschöpft hat.

Meine Damen und Herren,
ein insolvenzrechtlicher Dauerbrenner der letzten Jahre ist der Debt equity swap. Diese Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital ist ein wichtiges Instrument zur Sanierung von Unternehmen, die in Schieflage geraten sind. Durch den Wegfall von Verbindlichkeiten kann eine Überschuldung beseitigt werden. Zugleich wird durch das Erlöschen von Zins- und Tilgungspflichten die Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt. Auch für Gläubiger ist die Umwandlung ihrer Forderungen in Anteile vorteilhaft: Sie erlangen Einfluss auf die Unternehmensgeschicke und werden an künftigen Erträgen beteiligt.

Es ist nicht einfach, dieses Instrument in das deutsche Planverfahren einzubauen. Das wirft komplexe Fragen vom Gesellschaftsrecht über das Europarecht bis hin zum Verfassungsrecht auf. Angesichts der großen Bedeutung, die dem Debt equity swap zugeschrieben wird, lohnt es aber, hier eine gute Lösung zu finden.

Ein Hindernis bei der Sanierung kann auch die Pflicht zur Erfüllung von Masseverbindlichkeiten bei Verfahrensaufhebung sein. Daher sollte gesetzlich festgeschrieben werden, dass Masseverbindlichkeiten, die noch nicht fällig sind, erst nach der Verfahrensaufhebung von dem sanierten Unternehmen erfüllt werden müssen. Zu diesem Zweck hat der Verwalter vor der Aufhebung eine belastbare Liquiditätsplanung vorzulegen.

Wir müssen außerdem das Verfahren weiter verbessern. Eine erfolgreiche Sanierung braucht Fachleute. Nicht nur bei den Verwaltern, auch bei Gericht. Ich könnte mir hier eine stärkere Konzentration der gerichtlichen Zuständigkeit oder auch Modifikationen bei der Zuständigkeitsverteilung zwischen Richter und Rechtspfleger vorstellen. All dies soll dazu beitragen, dass das Insolvenzverfahren in Zukunft noch stärker zur Sanierung solcher Unternehmen genutzt wird, die im Kern überlebensfähig sind.

Meine Damen und Herren,
eine große Aufgabe, die die Finanzmarktkrise gestellt hat, ist der Umgang mit der drohenden Insolvenz von Finanzinstituten, die systemrelevant genannt werden. Einerseits muss der Zusammenbruch solcher Finanzinstitute, die das ganze Finanzsystem ins Wanken bringen, verhindert werden. Andererseits darf deren Rettung nicht allein auf Kosten des Steuerzahlers stattfinden. Auch Eigentümer und Gläubiger müssen an den Verlusten gerecht beteiligt werden. Die Regeln für Finanzinstitute in der Krise müssen deshalb verändert werden. Mein Ministerium lotet deshalb zusammen mit dem Finanzministerium aus, wie das geschehen soll.

Wir denken dabei zunächst an ein mehrstufiges Sanierungs- und Reorganisationsverfahren. Es soll sich an das Insolvenzplanverfahren anlehnen und den Beteiligten eine Krisenbewältigung in eigener Verantwortung ermöglichen. Der Staat ist erst in zweiter Linie gefragt - das gebietet unsere marktwirtschaftliche Ordnung und das Verhältnismäßigkeitsprinzip des freiheitlichen Rechtsstaats.

Wenn sich allerdings auf diese Weise die Stabilität des Finanzsystems nicht bewahren lässt, dann muss notfalls durch hoheitlichen Akt steuernd eingegriffen werden. Die systemrelevanten Teile eines Instituts könnten dann aus dem Unternehmen herausgelöst und auf eine neue Gesellschaft übertragen werden, also eine sogenannte "Good bank". Nur diese Teile sollen dann mit staatlichen Geldern saniert werden. Ergänzend könnte man auch an ein Restrukturierungsverfahren denken, bei dem der Widerstand privater Akteure gegen erfolgversprechende Rettungsmaßnahmen durch hoheitliche Anordnung überwunden werden können.

Alle diese Ansätze haben ihre jeweiligen Vorzüge. Wir werden sie weiterentwickeln und zu einem konsistenten Ganzen verschmelzen. Dabei werden wir natürlich auch die Entwicklung in der EU und international im Blick behalten. Sollte dann künftig wieder einmal die Insolvenz eines systemrelevanten Akteurs drohen, wären wir gut gerüstet. Wir haben dann die richtigen Instrumente, um sicherzustellen, dass weder unser Finanzsystem noch der Steuerzahler leidet.

Mit Blick auf den Finanzmarkt ist noch ein weiterer Punkt wichtig: In der Börsenlandschaft werden heute Geschäfte mit vielen Teilnehmern häufig über eine "zentrale Vertragspartei" abgewickelt oder - wie man neudeutsch sagt - "gecleart". Dabei finden regelmäßig Verrechnungen zur Risikobegrenzung der beteiligten Parteien statt. Wenn aber ein Mitglied einer zentralen Vertragspartei insolvent wird, stellt sich die Frage, ob diese Rechtshandlungen nicht gesichert werden sollten. Damit würden nicht nur die anderen Clearing-Mitglieder und die Kunden des insolventen Mitglieds geschützt, sondern auch ein Wettbewerbsnachteil für die deutsche Börsenlandschaft beseitigt werden. Allerdings müssen Änderungen hier mit großem Fingerspitzengefühl vorgenommen werden, denn der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung darf nicht unangemessen beeinträchtigt werden.

Zwei weitere Projekte, die nichts mit der Finanzkrise zu tun haben, aber die wir gleichwohl noch in der ersten Stufe unserer Reformen umsetzen möchten, sind zum einen ein Insolvenzstatistikgesetz. Wir brauchen verlässliche Daten, um die Wirkung des Rechts beurteilen zu können, zum Beispiel, wenn es um die finanziellen Ergebnisse von Insolvenzverfahren geht. Hier wünsche ich mir auch Ihre Hilfe, meine Damen und Herren, denn ohne die Insolvenzverwalter können wir keine zuverlässigen Daten bekommen.

Zum zweiten werden wir die Privilegierung der Sozialkassen bei der Insolvenzanfechtung wieder abschaffen. Diese Regelung wurde 2007 ohne - oder eher noch: gegen - den Willen des Rechtsausschusses im Bundestag durchgesetzt. Auch wenn sich das Problem durch die Rechtsprechung des BGH etwas entschärft hat, meine ich, dass die Besserstellung einer einzelnen Gläubigergruppe, die im Vergleich zu den anderen ohnehin schon erhebliche Privilegien genießt, nicht hinnehmbar ist. Deshalb bin ich entschlossen, das zu ändern.

[2. Stufe: Verbraucherinsolvenz + Sanierung vor Insolvenz]

Meine Damen und Herren,
im Mittelpunkt der zweiten Stufe der Reformarbeiten steht die Verbraucherinsolvenz. Hier wollen wir die gütliche Einigung des Schuldners mit seinen Gläubigern fördern. Gute Ansätze könnten die Stärkung des vorgerichtlichen Einigungsversuchs sein und die Möglichkeit, die Zustimmung zur Einigung notfalls durch eine Entscheidung des Gerichts zu ersetzen.

Reformbedarf sehe ich auch noch an anderer Stelle. Unternehmensgründer, aber auch überschuldete Verbraucher sollen nach einem Fehlstart möglichst schnell wieder auf die Beine kommen. Sie sollen sich schon bald wieder produktiv am Wirtschaftsleben beteiligen können. Deshalb möchte ich die Zeit bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung von derzeit sechs auf drei Jahre halbieren. Dies haben wir schon im Koalitionsvertrag festgelegt.

Natürlich werden dabei einige Folgeänderungen zu bedenken sein. Es ist nicht damit getan, die Zahl "sechs" durch die Zahl "drei" zu ersetzen. Schon jetzt treten Unstimmigkeiten auf, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung endet, bevor das Insolvenzverfahren aufgehoben wurde und die eigentliche Wohlverhaltensperiode beginnen kann. Wir müssen dafür sorgen, dass sich diese Schwierigkeiten mit der Abkürzung des Fristlaufs nicht noch häufen.

Vor allem aber müssen wir bei den Änderungen die Rechte der Gläubiger wahren und auch dafür sorgen, dass die Haushalte der Länder nicht übermäßig belastet werden. Eine Halbierung der Wohlverhaltensperiode senkt die Chance, dass die Gläubiger ihr Geld und die Staatskasse die gestundeten Verfahrenskosten bekommen. Wir prüfen daher, ob die Restschuldbefreiung an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft werden soll, etwa die Erfüllung einer Mindestbefriedigungsquote oder die Deckung der Verfahrenskosten.

Ein anderer Punkt, den wir angehen sollten, hat etwas mit dem Stigma zu tun, das derzeit noch immer mit dem Begriff der Insolvenz verbunden ist. Wir sollten überlegen, ob wir ein Sanierungsverfahren schaffen, das schon vor einer Insolvenz greift. Ob das außerhalb der Insolvenzordnung angesiedelt wird, muss genau geprüft werden. Ein Blick in Nachbarländer wie Großbritannien oder Frankreich zeigt, dass dort so etwas Schule macht, und zwar mit dem erklärten Ziel, möglichst frühzeitig, eine drohende Insolvenz abzuwenden.

Ein eigenständiges Sanierungsverfahren wäre ein völlig neuer Ansatz, den man mit Augenmaß umsetzen müsste. Es müsste vor allem zur Insolvenzordnung passen und mit ihr ein schlüssiges Gesamtkonzept bilden. Hier sind noch eine Menge Fragen offen: Soll dabei auch ein Gericht eingebunden sein? Unter welchen Voraussetzungen kann man diese Sanierung beantragen? Und wie steht es mit dem Vollstreckungsschutz? Für den Schuldner ist so ein Schutzschirm sinnvoll, um ernsthafte Sanierungsbemühungen zu unterstützen. Allerdings muss auch vermieden werden, dass der Schuldner unkontrolliert die letzten Masse für einen Sanierungsversuch verbraucht, der von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist.

Sie sehen, meine Damen und Herren, ein derart anspruchsvolles Projekt muss mit großer Sorgfalt angegangen werden. Ich bin aber entschlossen, dies zu tun und bin mir sicher, dass wir hier gute und praxistaugliche Lösungen finden werden.

[3. Stufe: Konzerninsolvenz + Verwalterauswahl]

Meine Damen und Herren,
in der dritten und letzten Stufe unseres Reformprogramms wollen wir das Konzerninsolvenzrecht angehen und die Verwalterauswahl.

Das Konzerninsolvenzrecht ist durch den Zusammenbruch verbundener Unternehmen wie Arcandor wieder hoch aktuell geworden. Ziel muss es sein, zu verhindern, dass ein Konzern unkontrolliert auseinanderfällt und damit die Sanierungschancen erhalten bleiben. Eines der größten Hindernisse für die koordinierte Durchführung eines Insolvenzverfahrens ist bislang die Verteilung der einzelnen Konzerngesellschaften auf unterschiedliche Gerichte und verschiedene Verwalter. Dies führt nicht nur zu rechtlichen Problemen, sondern auch zu wirtschaftlichen Verlusten, die oft vermeidbar sind.

Mir ist dabei wichtig, dass wir die bewährten Grundstrukturen der Insolvenzordnung beibehalten und die Regelung für Konzerne in das vorhandene System einfügen. Wir können nicht die Vermögensmassen der einzelnen Konzernmitglieder einfach in einen großen Topf werfen und die Gläubiger daraus anteilig befriedigen. Das wäre eine teilweise Enteignung der Gläubiger der solventen Konzerngesellschaften und wäre mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren. Deshalb sollten wir auch vermeiden, dass es durch eine Verbindung der Verfahren zu einer faktischen Konsolidierung kommt.

Es sollte daher zwar für jede Konzerngesellschaft ein eigenes Verfahren erhalten bleiben, aber diese Verfahren müssen besser miteinander koordiniert werden. Hierzu gehört sicherlich die Festlegung eines einheitlichen Gerichtsstands. Regelungen auf Gerichtsseite reichen jedoch nicht aus. Mindestens ebenso wichtig ist eine enge Verzahnung auf Verwalterseite. So kann es in Einzelfällen sinnvoll sein, für alle Gesellschaften eines Konzerns einen gemeinsamen Verwalter zu bestellen; zumindest aber müssen die Verwalter zu einer engen Zusammenarbeit verpflichtet werden.

Zu einer ganz besonderen Herausforderung werden Konzerninsolvenzen, wenn die Unternehmen in verschiedenen Ländern tätig sind. Wie wir sie am besten regeln, dazu gibt es Anregungen auf der Ebene der Vereinten Nationen, von der dortigen Handelsrechtskommission, und auch die EU wird sich damit künftig befassen. Beim deutsch-französischen Ministerrat habe ich vor wenigen Wochen mit meiner Amtskollegin vereinbart, dass unsere Länder hier eng zusammenarbeiten und bei einem europäischen Konzerninsolvenzrecht gemeinsam vorgehen werden.

Meine Damen und Herren,
ein allerletztes Reformprojekt, das Sie alle ganz unmittelbar angeht, ist die Auswahl des Insolvenzverwalters. Von der Stärkung des Gläubigereinflusses an dieser Stelle habe ich bereits gesprochen. Regelungsbedarf besteht auch beim Zugang zum Verwalteramt. Die Dienstleistungsrichtlinie der EU, die nach unserer Einschätzung hier einschlägig ist, zwingt uns dazu, hier aktiv zu werden. Wir sollten daher die grundlegenden Voraussetzungen für den Zugang zu diesem Berufsstand und auch die Amtspflichten eines Insolvenzverwalters regeln. Dabei müssen wir einerseits klarstellen, dass der Verwalter einen eigenen, freien Beruf ausübt und ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist, und dass andererseits diese Tätigkeit mit anderen freien Berufen vereinbar ist. Und wir müssen auch ein Anforderungsprofil für die Befähigung und persönliche Eignung eines Verwalters im Gesetz klar fixieren.

Sie sehen, meine Damen und Herren, dass wir uns beim Insolvenzrecht wirklich viel vorgenommen haben. Es ist unsere zentrale Reformbaustelle im Wirtschaftsrecht und wir werden mit alledem nur dann erfolgreich sein, wenn wir dabei mit den erfahrenen Praktikern des Insolvenzrechts eng zusammenarbeiten. Ich will dies tun, der Dialog mit Ihnen ist mir sehr wichtig. Deshalb bin ich heute zu Ihnen gekommen. Auf Ihre Meinung zu meinen Vorschlägen bin ich gespannt und wünsche Ihnen allen eine interessante und erfolgreiche Tagung.


Quelle BMJ-Reden- Rede

04.06.2012 Die neue Insolvenz- und Sanierungskultur: Was hat sich verbessert?
Information Aufbruch in eine neue Insolvenzkultur durch das ESUG
  • Schuldner/in im Mittelpunkt
  • Erhaltung des Rechtsträgers
  • Nutzung des Geschaffenen und des Know how
  • mehr Rechte für die Gläubiger
  • weniger Geld und Macht für die Insolvenzverwalter
  • höhere Sanierungs-Qualifikation der Insolvenzverwalter, Rechtspfleger und Ínsolvenzrichter
  • transparentere Auswahl der Insolvenzverwalter, Sachwalter
  • weniger "Plattmachen" und Bestattungen
  • mehr Fortführungen und Sanierungen
  • mehr Eigenverwaltungen und Insolvenzplanverfahren
  • schnellere Verfahrenseinleitungen
  • schnellere Verfahrensbeendigung
  • Höhere Befriedigungsquoten für die Gläubiger
  • weniger Angst der Geschäftsführer vor einer Entmachtung und Zerschlagung
  • weniger Blockaden von Störern in Planverfahren
  • Entstigmatisierung der Insolvenz und der Schuldner

Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat auf dem 7. Deutschen Insolvenzrechtstag am 17. März 2010 eine neue Insolvenzkultur gefordert.
Sie hat die Voraussetzungen geschaffen durch das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Gesellschaften (ESUG), das zum 01.03.2012 in Kraft tritt.
I. Verbesserung der Sanierung von Gesellschaften durch das ESUG

1. Rezessionen fordern Reaktionen
Deutschland erlebte eine der schwersten Rezessionen seit Kriegsende. Die Schäden für die Volkswirtschaft durch Insolvenzen beliefen sich in manchen Jahren auf fast 50 Milliarden Euro. Jährlich ca. 33.000 Unternehmen.
Die Reform des Insolvenzrechts war das wichtigstes Vorhaben im Wirtschaftsrecht. Wirtschaftskrisen sind der Härtetest für das Insolvenz- und Sanierungsrecht und decken die Schwachstellen auf.
2. Das Hauptproblem: Sanierung erfordert frühzeitiges Handeln

Insolvenzanträge müssen rechtzeitig gestellt werden, um die Chancen zur Sanierung zu verbessern. Dazu gibt es ein Sanierungsverfahren, das einer Insolvenz vorgelagert ist (Schutzschirmverfahren).
3. Was dachte bisher die Öffentlichkeit von Insolvenz und der Insolvenzverwaltung?

In zwei Drittel der Insolvenzverfahren erhalten die Gläubiger keine Quote und das Vermögen des/der Schuldners/in wird nur für dessen Verwaltung und Verwertung aufgewendet (Institut für Mittelstandforschung IFM).
Der Insolvenzverwalter galt bisher in der Öffentlichkeit als "Bestatter" und nicht als Lebens- oder Firmenretter. Der bekannte Wissenschaftler Haarmeyer behauptete schon 2009:
"Statt die Gläubiger zu befriedigen, versorgt die Abwicklung eines Insolvenzverfahrens offenbar weitgehend und flächendeckend nur die Insolvenzverwalter und die mit ihnen verbundenen Strukturen" (Süddeutsche Zeitung vom 14.September 2009 S. 19).
Eine Insolvenz gilt in der Öffentlichkeit noch immer als persönliches Versagen und vollständiges wirtschaftliches Scheitern -oft schwingt sogar noch unredliches Verhalten mit.
In der Öffentlichkeit wird das Insolvenzverfahren noch nicht als Instrument der Sanierung betrachtet. Jedes Unternehmen oder Unternehmer muss auch nach einer Krise oder Insolvenz eine zweite Chance haben.
4. Wir lief das Insolvenzplanverfahren und die Eigenverwaltung bisher in der Praxis?

Nur 2 Prozent der zahlungsunfähigen Unternehmen hatten die Möglichkeiten eines Insolvenzplanverfahrens und der Eigenverwaltung nach InsO (alt)genutzt.
5. Was waren die Folgen dieser Insolvenzkultur oder -mentalität?

  • Die Unternehmen stellten zu spät einen Insolvenzantrag
  • Die Unternehmer hatten Angst, dass ein Insolvenzantrag  nicht zur Sanierung sondern zur  Zerschlagung führt. 
  • Insolvente Unternehmer hatten Angst, dass sie die Kontrolle über das eigene Unternehmen an den Insolvenzverwalter verlieren.

6. Auch nach der Reform gilt: nicht jedes Unternehmen kann gerettet werden.
Ohne Markt, Masse, neues Kapital und positiver Fortführungsprognose und Fortführungswille nützt auch das beste Sanierungskonzept und die besten Vorschriften nichts.
7. Stiefkind Eigenverwaltung

Weniger als 1 Prozent der eröffneten Unternehmensinsolvenzen wurden bis Ende 2011 in Eigenverwaltung verwaltet. Dahinter steckte bei vielen das Vorurteil, man würde bei der Eigenverwaltung den Schuldner zu seinem eigenen Gerichtsvollzieher machen. Es gab aber einige spektakuläre erfolgreiche Einzelfälle:
Babcock Borsig, Ihr Platz und Kirch - haben unter Eigenverwaltung die Sanierung in kurzer Zeit geschafft.
8. Stärkung der Eigenverwaltung und Voraussetzungen

  • frühzeitiger Antrag
  • Fortführungskonzept
  • Kompetente Geschäftsführung mit einschlägigen Kenntissen des Insolvenzrechts
  • durch das ESUG wurden die Voraussetzungen der Eigenverwaltung großzügiger formuliert
  • Gerichte sind verpflichtet, bei Antrag die Eigenverwaltung anzuordnen
  • Gerichte müssen darauf hinweisen, wenn sie eine beantragte Eigenverwaltung ablehnen wollen.

9. Stärkung der des Gläubigereinflusses auf die Verwalterbestellung
Erfolgreiche Sanierungen im Planverfahren gelingen besonders dann, wenn Einigkeit unter den Beteiligten über den Fahrplan besteht und sie Gewissheit haben, mit wem sie sich auf die Reise begeben. Die wesentlichen Gläubiger müssen daher zur Person des künftigen Insolvenz-verwalters gehört werden.
10. Abbau von Hemmnissen im Sanierungsverfahren

Im  Planverfahren sollten durch das ESUG Hemmnisse und Verzögerungen abgebaut werden.
Sinnvolle Lösungen sollen nicht an der Blockade Einzelner scheitern.
Rechtsmittel gegen die Planbestätigung wurden in der InsO (ESUG) moderat beschränkt.
So können einzelne Gläubiger, die sich durch den Plan schlechter gestellt sehen, als im Falle der Liquidation, darauf verwiesen werden, dass sie ihre Belange außerhalb des Planbestätigungs-verfahrens geltend machen können. Der Rechtsstreit behindert dann nicht mehr das Wirksam-werden des Plans. Außerdem die sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigung nur dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer seine verfahrensmäßigen Möglichkeiten gegen den Plan zuvor ausgeschöpft hat.
11. Debt equity swap

Der debt equity swap wurde mit dem ESUG eingeführt.
Es ist die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital. 
Durch den Wegfall von Verbindlichkeiten kann eine Überschuldung beseitigt werden. 
Auch für Gläubiger ist die Umwandlung ihrer Forderungen in Anteile vorteilhaft: Sie erlangen Einfluss auf die Unternehmensgeschicke und werden an künftigen Erträgen beteiligt.
II. Geplante Reform der Verbraucherinsolvenz

Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen stiegt um 3 Prozent auf über 100.000.
Im Mittelpunkt der zweiten Stufe der Reformarbeiten steht die Verbraucherinsolvenz.
Es soll die gütliche Einigung des Schuldners mit seinen Gläubigern gefördert werden.
Der vorgerichtliche Einigungsversuch soll gestärkt werden. Es soll die Möglichkeit geben,
die Zustimmung zur Einigung notfalls durch eine Entscheidung des Gerichts zu ersetzen. Überschuldete Verbraucher sollen nach einem Fehlstart möglichst schnell wieder auf die Beine kommen. Sie sollen sich schon bald wieder produktiv am Wirtschaftsleben beteiligen können. Deshalb soll die Zeit bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung von derzeit sechs auf drei Jahre halbiert werden.  Dies wurde  schon im Koalitionsvertrag festgelegt.
Bei den Änderungen sollen die Rechte der Gläubiger gewahrt und auch dafür gesorgt werden, dass die Haushalte der Länder nicht übermäßig belastet werden.
Eine Halbierung der Wohlverhaltensperiode senkt die Chance, dass die Gläubiger ihr Geld und die Staatskasse die gestundeten Verfahrenskosten bekommen.
Die Restschuldbefreiung soll an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft werden, etwa die Erfüllung einer Mindestbefriedigungsquote oder die Deckung der Verfahrenskosten.
Fazit:

Das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Gesellschaften ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Hoffen wir auf eine nachhaltige erfolgreiche Umsetzung in der Praxis.
Die anstehende Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens wird mit Spannung erwartet. Insbesondere ist eine Stärkung und Vereinfachung des Schulderegulierungsverfahrens zu wünschen.


Hermann Kulzer
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Master of business and administration

pkl Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Verwalter


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Verfasser: Hermann Kulzer Master of Business and administration (ehs Dresden), Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Gesellschaftsrecht

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