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Insolvenzrecht A bis Z
Faire Verfahren und Befangenheit
I. Europäische Menschenrechtskonvention   
Abschnitt I - Rechte und Freiheiten (Art. 2 - 18)

Artikel 6 Abs.1 Recht auf ein faires Verfahren

Jede Person hat ein Recht darauf, daß über Streitigkeiten in bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.

 

II. Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

1. Rechtliches Gehör

Nach Art. 103 Abs. 1 GG haben die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, sich vor Erlaß der Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Daraus folgt die Verpflichtung des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.

Erhebliche Beweisanträge muß das Gericht berücksichtigen (vgl. u.a. BVerfGE 60, 247 <249>; 60, 250 <252>; 69, 145 <148>).

2. Faires Verfahren

Aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip wird als "allgemeines Prozeßgrundrecht" der Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitet (BVerfGE 57, 250 <275>; 78, 123 <126>).

Der Richter muß das Verfahren so gestalten, wie die Parteien des Zivilprozesses es von ihm erwarten dürfen: Er darf sich nicht widersprüchlich verhalten (BVerfGE 69, 381 <387>), insbesondere aber darf er aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten ableiten (BVerfGE 51, 188 <192>; 60, 1 <6>; 75, 183 <190>) und er ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (BVerfGE 38, 105 <111 f.>; 40, 95 <98 f.>; 46, 202 <210>).

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Fristversäumung vorliegt, ist zu beachten, daß der Anspruch auf ein faires Verfahren es verbietet, die Verantwortung für eine Säumnis auf den Bürger abzuwälzen, deren Ursache allein in der Sphäre des Gerichts liegt (vgl. BVerfGE 69, 381 <386>). Allerdings kann das Gericht in diesem Zusammenhang auch berücksichtigen, daß eine Prozeßpartei mögliche und ihr zumutbare Anstrengungen unterlassen hat, von sich aus zum Wegfall des Hindernisses beizutragen, das der Wahrung der Frist gegenübersteht.

Das Verfahrensrecht dient der Herbeiführung gesetzmäßiger und unter diesem Blickpunkt richtiger, aber darüber hinaus auch im Rahmen dieser Richtigkeit gerechter Entscheidungen (vgl. BVerfGE 69, 126 <140>).

Quelle: BVerfG, 1 BvR 2194/97 vom 6.4.1998, Absatz-Nr. (1 - 15), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk19980406_1bvr219497.html

III. Unvoreingenommenheit

Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist gerechtfertigt, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfG NJW 1995 1277; BVerfGE 88,1, 4; BGH, Beschluss vom 27. April 1972 - 4 StR 149/72, BGHSt 24, 336, 338). BGH, Beschluss vom 9.5.2012, 2 StR 25/12

IV. Befangenheit

1. Bindung an Gesetz und Recht

Der Richter unterliegt der Amtspflicht, sein Verhalten so einzurichten, dass es dem Vertrauen gerecht wird, dass seinem Amt entgegengebracht wird. Er ist an „Gesetz und Recht“ gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) Dennoch kommen in der Praxis Verstöße vor.

2. Ultima Ratio

Die Befangenheitsablehnung ist ultima ratio, um sich gegen richterliches Fehlverhalten wehren zu können.

3. Gesetzestext

Gemäß § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter „wegen Besorgnis der Befangenheit“ abgelehnt werden. Dabei ist nicht die Sicht des abgelehnten Richters maßgebend, sondern die Sicht des Ablehnenden (die "Besorgnis" der Befangenheit ist maßgebend und nicht , ob der Richter tatsächlich befangen ist).

4. Maßgebliche Frage

Im Ablehnungsrecht geht es um die Frage, was der Ablehnende empfindet und was ihn besorgt macht.

Der Richter, der über die Ablehnung zu entscheiden hat, wird sich selbst fragen müssen, was er selbst anstelle des Ablehnenden fühlen würde und ob es ihn auch selbst besorgt machen würde.


5. Beispiel und Begründung des KG Berlin, Beschluss vom 08.06.2006, Az. 15 W 31/06

"Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO ist zu bejahen, wenn aus der Sicht des Ablehnenden die Unparteilichkeit des Richters nicht mehr gewährleistet erscheint. Für diese Besorgnis müssen Gründe vorliegen, die objektiv, d.h. bei vernünftiger Betrachtung vom Standpunkt des Ablehnenden geeignet sind, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters zu wecken. Für die Frage, welche Gründe es rechtfertigen, an der gebotenen Objektivität des Richters zu zweifeln, kann nur ein objektiver Maßstab gelten (KG, MDR 2001, 107 f.). Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Richter tatsächlich befangen ist; ebenso unerheblich ist es, ob er sich für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob aus Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die aus Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Juli 2004 – 15 W 80/04; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 42 Rdnr. 9 m. w. N.).

6. Glaubwürdigkeit des Antragsstellers

Eine Partei, die ein Ablehnungsgesuch stellt, muss tatsächlich besorgt sein. Sie muss auch glaubwürdig sein. Dies hängt mit dem Sachverhalt zusammen, den der Ablehnende als Ablehnungsgrund vorträgt.

Die Verletzung von Verfahrensrecht (z. B. Ablehnung eines erheblichen Beweisantrages, Gehörsverletzung, Verlegungs- oder Vertagungsantrages) benachteiligt eine Partei, was anhand der Zivilprozessordnung objektiv feststellbar ist.


Wenn sich die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar sind, kann darauf erfolgreich das Ablehnungsgesuch gestützt werden (KG, Beschluss vom 08.06.2006, Az. 15 W 31/06).

Auch eine unvertretbare Rechtsauffassung eines Richters zur Anwendung von einfachem Recht kann grundsätzlich nicht zu einem erfolgreichen Ablehnungsgesuch führen.

Zumindest kann aber bei der Gesamtschau der Ablehnungsgründe dies aber dennoch eine Rolle spielen, wenn der Richter nicht mehr bereit ist, Gegenargumente zur Kenntnis zu nehmen. Dies auch dann, wenn der abgelehnte Richter sich weigert, einer ganz herrschenden Meinung oder der höchstrichterlichen Rechtssprechung zu folgen.

Ein Richter, der hiervon abweichen will, muss, wenn er sich nicht dem Vorwurf der Parteilichkeit ausgesetzt sehen will, begründen, warum er in dem von ihm zu entscheidenden Fall von dieser Rechtssprechung abweichen will und muss den Parteien auch Gelegenheit dazu geben, sich zu äußern und gegebenenfalls ihren Sachvortrag entsprechend anzupassen.

7. Beispiele:

- persönliche Beziehung des Richters zu einer Partei;
- Interessenwahrnehmung für eine Partei durch Rat oder Empfehlungen
- Ungleichbehandlung der Parteien (Antrag einer Partei wird mit einem anderen Maßstab gemessen als der Antrag der anderen Partei);
- Äußerungen des Richters, die auf Voreingenommenheit schließen lassen (Richter legt sich schnell auf ein bestimmtes Ergebnis fest);
- unsachliche oder beleidigende Äußerungen des Richters ;
- Willkürliche Benachteiligung einer Partei;
- Grobe, insbesondere gehäufte, Verfahrensfehler;
- Untätigkeit und Hinauszögern einer Entscheidung.

8. Bedingungsfeindlichkeit

Der Befangenheitsantrag ist als Prozesshandlung bedingungsfeindlich.

9. Glaubhaftmachung

Die Mittel der Glaubhaftmachung sind zu benennen (§ 44 Abs. 2 S. 1 ZPO), ansonsten wird das Gesuch als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Glaubhaftmachung reicht es, wenn auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen wird (§ 44 Abs. 2 S. 2 ZPO).

Mittel der Glaubhaftmachung können nachgeschoben werden.

Zu den Mitteln der Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) gehören alle Beweismittel der ZPO, die präsent sind.

Mögliche Beweismittel:

  • Zeugnis des abgelehnten Richters,
  • das Zeugnis der Protokollführerin,
  • das Sitzungsprotokoll und
  • eidesstattliche Versicherungen, etwa des Prozessbevollmächtigten oder anderer anwesender Dritter.
  • Unterschriebene Erklärungen von Dritten sind auch geeignete Mittel der Glaubhaftmachung, da sie dem Urkundenbeweis (§ 416 ZPO) unterfallen.
  • Der Ablehnende selbst ist zur Glaubhaftmachung des Ablehnungsgrundes ausgeschlossen.

10. Kein Anwaltszwang

Selbst im Verfahren vor dem Landgericht oder höheren Instanzen besteht ein Anwaltszwang für den Befangenheitsablehnungsantrag nicht (§§ 44 Abs. 1, 78 Abs. 3 ZPO).

I1. Non liquet

Kann nicht beurteilt werden, ob der Ablehnende oder der abgelehnte Richter den Sachverhalt zutreffend mitteilt, kommt es zu einem sogenannten „non liquet“.

In einem solchen Fall ist zugunsten des Ablehnenden zu entscheiden (vgl. BayOblGZ 1974, 131; OLG Köln, MDR 1998, 435; LG Kiel, Anwaltsblatt 1964, 23; LG Bochum, Anwaltsblatt 1978, 101; OLG Celle, MDR 1988, 970; OLG Köln, MDR 1996, 1180 mit Anmerkung Schneider; OLG Braunschweig, OLGR 2001, 22).



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