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1. Musterschreiben des Insolvenzverwalters wegen „Freigabe der selbständigen/gewerblichen Tätigkeit“
Insolvenzverfahren [Name des Schuldners], geb. am [xx.xx.xxxx] [Anschrift]
Amtsgericht [Ort], Az.: [Az.]
[Ort], den [Datum]
Freigabe der selbständigen / gewerblichen Tätigkeit als [z.B. Architekt / Ingenieur / …] gem. § 35 Abs. 2 InsO
Sehr geehrter Herr / sehr geehrte Frau [Name der Schuldnerin/des Schuldners],
in vorbezeichneter Angelegenheit erkläre ich hiermit, dass ich Ihre oben bezeichnete selbständige / gewerbliche Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO mit Wirkung zum [Datum] aus dem Insolvenzbeschlag freigebe.
Vermögen, das Sie aus dieser Tätigkeit künftig erwirtschaften, gehört damit grundsätzlich nicht mehr zur Insolvenzmasse, und Ansprüche aus dieser Tätigkeit werden im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht.
Eine Fortführung des Gewerbebetriebs für Rechnung der Insolvenzmasse findet nicht statt.
Es besteht insbesondere keine Verpflichtungsermächtigung zu Lasten der Masse. Ich widerspreche bereits jetzt allen von Ihnen vorgenommenen Handlungen, Erklärungen und Rechtsgeschäften, die eine persönliche oder wirtschaftliche Haftung der Insolvenzmasse begründen könnten.
Rechtsgrundlage dieser Freigabe ist § 35 Abs. 2 InsO, wonach der Insolvenzverwalter zu erklären hat, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Masse gehört, sowie § 295a InsO (bzw. bei älteren Verfahren § 295 Abs. 2 InsO a.F.), der Ihre Abführungs- und Mitwirkungsobliegenheiten regelt.
Sie sind verpflichtet, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an die Insolvenzmasse / den Treuhänder so zu stellen, als ob Sie eine angemessene abhängige Beschäftigung ausüben würden. Die Höhe des abzuführenden Betrages richtet sich nach dem pfändbaren Teil eines solchen fiktiven Nettoeinkommens gemäß den Pfändungstabellen (§ 850c ZPO).
Die Einzelheiten der Berechnung und Fälligkeit der Abführung (monatliche Abschläge, Jahresabrechnung) werden gesondert festgelegt; auf Ihren Antrag hin kann das Insolvenzgericht den zugrunde zu legenden Betrag gemäß § 295a Abs. 2 InsO bestimmen.
Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Verbindlichkeiten, die Sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit eingehen, nicht von einer etwaigen Restschuldbefreiung in diesem Verfahren erfasst werden. Für diese neuen Schulden haften Sie persönlich; entsprechende Forderungen können nicht als Insolvenzforderungen im laufenden Verfahren angemeldet werden.
Von der Freigabe unberührt bleiben Ihre Pflichten,
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mir regelmäßig aussagekräftige Unterlagen über Ihre wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen (z.B. Einnahmen-Überschussrechnung, Steuerbescheide, Kontoauszüge etc.), und
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sämtliche steuerlichen Pflichten im Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit (insbesondere Umsatzsteuer, Einkommensteuer, Gewerbesteuer) eigenverantwortlich zu erfüllen, die erforderlichen Steuererklärungen fristgerecht beim zuständigen Finanzamt einzureichen und die hieraus resultierenden Steuern aus den freigegebenen Mitteln abzuführen.
Ich rege an, beim zuständigen Finanzamt eine neue Steuernummer für den freigegebenen Geschäftsbetrieb zu beantragen und dieses Schreiben vorzulegen.
Bitte senden Sie mir dieses Schreiben innerhalb von 10 Tagen nach Zugang mit der unten vorgesehenen Empfangsbestätigung unterschrieben zurück.
Mit freundlichen Grüßen
[Name] Rechtsanwalt / Insolvenzverwalter
Empfangsbestätigung des Schuldners
Die Freigabe meiner selbständigen / gewerblichen Tätigkeit gemäß vorstehendem Schreiben wurde mir am _____________ erklärt und ist mir heute zugegangen.
Ort, Datum
Unterschrift Schuldner
2. Erläuterungen & Antworten auf mögliche Fragen
a) Rechtsgrundlage & Bedeutung der Freigabe
Rechtsgrundlage
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§ 35 Abs. 2 InsO: Verwalter muss dem Schuldner erklären, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Masse gehört; er kann Negativerklärung/Freigabe abgeben („gehört nicht zur Masse“).
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Satz 2 verweist heute auf § 295a InsO (früher § 295 Abs. 2 InsO a.F.). § 295a regelt, dass der selbständig tätige Schuldner die Gläubiger durch Zahlungen so zu stellen hat, als wäre er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen; der Betrag kann auf Antrag vom Gericht festgesetzt werden.
Bedeutung der Freigabe
Kurz gefasst:
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Der Betrieb läuft nicht mehr auf Rechnung der Masse, sondern auf eigene Rechnung und Risiko des Schuldners.
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Neu erwirtschaftete Gewinne und Vermögenswerte aus dem freigegebenen Betrieb gehören grundsätzlich dem Schuldner, nicht der Insolvenzmasse („insolvenzfreies neues Vermögen“).
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Im Gegenzug muss der Schuldner einen Betrag an die Masse / den Treuhänder abführen, der dem pfändbaren Teil eines fiktiven Arbeitnehmereinkommens entspricht (fiktives Nettoeinkommen → Pfändungstabelle).
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Neue Schulden aus der freigegebenen Tätigkeit sind keine Insolvenzforderungen; sie fallen nicht unter die Restschuldbefreiung.
b) Wer macht die Steuererklärungen? Wer führt die Steuern ab?
Nach der Freigabe gilt:
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Für die freigegebene Tätigkeit ist der Schuldner selbst Unternehmer.
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Er erstellt und unterschreibt die Umsatzsteuer-, Einkommensteuer- und Gewerbesteuererklärungen (soweit einschlägig).
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Er führt die fälligen Steuern aus den Einnahmen des freigegebenen Betriebs ab.
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Steuerliche Pflichten des Verwalters beschränken sich auf die Masse (z.B. Verwertungserlöse, ggf. nicht freigegebene Betriebsbestandteile).
Pragmatisch: Für Zeiträume vor Freigabe – je nach Konstellation – noch Erklärungen durch den Verwalter (Massebetrieb). Ab Freigabedatum: der Schuldner.
c) Darf der Schuldner das Honorar „voll“ vereinnahmen?
Ja – aber nicht „voll behalten“.
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Zivilrechtlich stehen ihm die Honoraransprüche aus der freigegebenen Tätigkeit zu; er darf sie vollständig fakturieren und vereinnahmen. Sie sind kein Massevermögen.
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Insolvenzrechtlich muss er aus diesen Einkünften den pfändbaren Anteil des fiktiven Arbeitnehmereinkommens an die Masse/Treuhänder zahlen. Nur der darüber hinausgehende Betrag bleibt ihm.
Also: Honorar kommt zunächst voll aufs Schuldnerkonto, aber er hat eine (teils vertraglich konkretisierte) Abführungsverpflichtung.
d) Was muss man monatlich an den Verwalter zahlen?
Gesetzlich:
In der Praxis:
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Fast alle Verwalter vereinbaren mit dem Schuldner monatliche Abschlagszahlungen (z.B. Summe X), die dann mit der Jahresabrechnung verrechnet werden.
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Ist man sich über die Höhe nicht einig oder verlangt der Verwalter „Mondbeträge“, kann der Schuldner nach § 295a Abs. 2 InsO eine gerichtliche Festsetzung der fiktiven Bezüge beantragen.
Es gibt also keinen starren „gesetzlichen Monatsbetrag“, sondern einen individuell zu ermittelnden Betrag.
e) Was, wenn der Schuldner schon Rentner ist und noch arbeitet?
Hier muss man unterscheiden:
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Rente selbst
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Zusätzliche freigegebene selbständige Tätigkeit
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Auch ein Schuldner, der das Renteneintrittsalter erreicht hat, kann nach Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit verpflichtet sein, aus dieser Tätigkeit Beträge an die Masse abzuführen – wiederum nach Maßgabe eines fiktiven angemessenen Arbeitnehmereinkommens. Das hat der BGH ausdrücklich bestätigt.
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Gleichzeitig hat die Rechtsprechung anerkannt, dass Rentner bei „überobligatorischer“ Tätigkeit gewisse Erleichterungen bzw. zusätzliche Pfändungsschutzmöglichkeiten (z.B. nach § 850i, § 850a ZPO) geltend machen können; teils kann ein Teil der zusätzlichen Einkünfte pfandfrei gestellt werden.
Praktische Quintessenz:
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Keine Erwerbspflicht mehr (er muss nicht arbeiten). Aber:
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Wenn er freiwillig noch selbständig tätig ist und der Betrieb freigegeben wurde, muss er grundsätzlich auch als Rentner abführen, soweit nach fiktiver Arbeitnehmerbetrachtung pfändbare Beträge entstehen.
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Er kann aber über § 295a InsO und über Pfändungsschutz-Anträge versuchen, die Belastung zu begrenzen.
Sie haben Fragen oder Probleme im Zusammenhang mit der Freigabe? Ich helfe zwar nicht unentgeltlich aber professionell.
Hermann Kulzer MBA Fachanwalt für Insolvenzrecht 0351 8110233 |
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