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05.12.2025 Was darf der Schuldner im Insolvenzverfahren noch zahlen?`
Information Zahlungen im Insolvenzverfahren – was darf der Schuldner noch?

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert sich vieles: Der Schuldner darf nicht mehr frei über sein Vermögen verfügen, Gläubiger können nicht mehr einzeln vollstrecken, ein Insolvenzverwalter (oder Treuhänder) tritt auf den Plan.

Viele Schuldner fragen sich: Was darf ich mit meinem Einkommen noch machen? Darf ich Miete zahlen, etwas auf Raten kaufen oder eine bestehende Finanzierung weiter bedienen?

Der folgende Beitrag gibt einen Überblick und stellt eine wichtige Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor.


1. Wer darf nach Insolvenzeröffnung über die Insolvenzmasse verfügen?

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt das pfändbare Vermögen des Schuldners in die Insolvenzmasse (§ 35 InsO).

Ab diesem Zeitpunkt gilt:

  • Verfügungsbefugt ist grundsätzlich der Insolvenzverwalter, nicht mehr der Schuldner (§ 80 InsO).

  • Verfügungen des Schuldners über Gegenstände der Insolvenzmasse sind schwebend unwirksam und können vom Verwalter angefochten oder „kassiert“ werden (§ 81 InsO).

Der Verwalter verwertet die Masse (z.B. Immobilien, Kontoguthaben, pfändbare Gehaltsanteile) und verteilt den Erlös anteilig an die Gläubiger.


2. Insolvenzmasse vs. insolvenzfreies Vermögen

Ganz wichtig ist die Unterscheidung:

  • Zur Insolvenzmasse gehören:

    • pfändbare Teile des Arbeitseinkommens,

    • Bankguthaben (soweit nicht geschützt),

    • Immobilien, Fahrzeuge, Wertgegenstände usw.

  • Nicht zur Insolvenzmasse gehören (insolvenzfreies Vermögen):

    • der unpfändbare Teil des Einkommens nach den Pfändungsfreigrenzen (§ 36 InsO i.V.m. § 850c ZPO),

    • unpfändbare Gegenstände (z.B. üblicher Hausrat, bestimmte Arbeitsmittel),

    • ggf. vom Verwalter freigegebene Vermögenswerte (z.B. freigegebene selbständige Tätigkeit).

Über dieses insolvenzfreie Vermögen darf der Schuldner grundsätzlich weiter selbst verfügen.


3. Was darf der Schuldner mit seinem unpfändbaren Betrag machen?

Der unpfändbare Betrag steht dem Schuldner zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zu. Mit diesem Geld darf er:

  • Miete zahlen

  • Lebensmittel, Kleidung, Haushaltsgegenstände kaufen

  • Strom, Gas, Telefon, Internet bezahlen

  • notwendige Versicherungen (z.B. Haftpflicht) finanzieren

  • auch Verbindlichkeiten bedienen, die bereits vor Insolvenzeröffnung bestanden (Insolvenzforderungen), wenn dies aus dem insolvenzfreien Vermögen geschieht.

Das gilt ausdrücklich auch gegenüber Insolvenzgläubigern, wie der Bundesgerichtshof klargestellt hat (dazu unten unter 6.).


4. Darf der Schuldner Ratenkäufe und Finanzierungen eingehen?a) Darf er mit dem unpfändbaren Teil etwas „einkaufen“ oder einen Ratenkauf tätigen?

Rechtlich ist das nicht verboten:

  • Der Schuldner darf Verträge schließen, auch Ratenkäufe.

  • Aber: Diese neuen Schulden sind „Neuschulden“. Sie werden von der späteren Restschuldbefreiung nicht erfasst.

  • Gerät der Schuldner mit neuen Raten in Rückstand, drohen:

    • neue Mahn- und Vollstreckungsverfahren,

    • Risiken für die Restschuldbefreiung (Stichwort: fehlende Redlichkeit, neue unangemessene Verbindlichkeiten).

Empfehlung: Ratenkäufe während des laufenden Insolvenzverfahrens sollten nur in gut begründeten Ausnahmefällen und nach Beratung abgeschlossen werden.

b) Darf der Schuldner eine bestehende Finanzierung (z.B. Autokredit) aus dem unpfändbaren Teil weiter bedienen?

Ja, das ist möglich und nach der Rechtsprechung zulässig:

  • Der Schuldner darf eine laufende Finanzierung, etwa für ein Fahrzeug, aus seinem unpfändbaren Einkommen weiter bedienen.

  • Einige Gerichte hatten früher gemeint, dies verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der Gläubiger.

  • Der Bundesgerichtshof hat jedoch klargestellt, dass Zahlungen aus insolvenzfreiem Vermögen grundsätzlich erlaubt sind (dazu unten 6. – BGH IX ZR 93/09).

Wichtig aus praktischer Sicht:

  • Wird eine Finanzierung nicht mehr bedient, kann der Sicherungsnehmer (z.B. die Bank) das finanzierte Objekt (z.B. das Auto) verwerten.

  • Werden die Raten weiter gezahlt, bleibt der Gegenstand in der Regel erhalten und nutzbar (z.B. für den Weg zur Arbeit).


5. Was macht der Insolvenzverwalter mit der Miete und ungünstigen Verträgen?a) Mieteinnahmen (Schuldner als Vermieter)

Ist der Schuldner Vermieter und erzielt Mieteinnahmen, gilt:

  • Die Mietforderungen aus einem zur Masse gehörenden Grundstück oder einer Eigentumswohnung gehören grundsätzlich zur Insolvenzmasse.

  • Der Verwalter ist berechtigt, die Miete einzuziehen und zu verwerten, um die Gläubiger zu befriedigen.

Der Mietvertrag wird in der Regel fortgesetzt; der Verwalter kann ihn aber unter bestimmten Voraussetzungen kündigen oder die Erfüllung ablehnen (siehe Dauerschuldverhältnisse unten).

b) Mietzahlungen (Schuldner als Mieter)

Ist der Schuldner Mieter seiner Wohnung:

  • Das Mietverhältnis über Wohnraum läuft grundsätzlich weiter (§ 108 InsO).

  • Die laufende Miete für die Zeit nach Eröffnung ist vom Schuldner aus seinem unpfändbaren Einkommen zu zahlen.

  • Der Verwalter übernimmt die private Wohnraummiete in aller Regel nicht als Masseverbindlichkeit.

Zahlt der Schuldner seine Miete nicht, kann der Vermieter kündigen – unabhängig vom Insolvenzverfahren.

c) Was macht der Verwalter mit ungünstigen Verträgen?

Bei vielen Dauerschuldverhältnissen (z.B. teure Handy-, Leasing- oder Wartungsverträge) hat der Verwalter besondere Rechte:

  • Für gegenseitige, noch nicht vollständig erfüllte Verträge (§§ 103 ff. InsO) kann der Verwalter wählen, ob er:

    • den Vertrag erfüllt (dann wird die Gegenleistung Masseverbindlichkeit), oder

    • die Erfüllung ablehnt – der Vertragspartner hat dann nur eine Insolvenzforderung und muss seine Ansprüche zur Tabelle anmelden.

Außerdem bestehen Sonderkündigungsrechte, z.B. bei Miet- und Pachtverträgen über Immobilien (§ 109 InsO).

Für den Schuldner bedeutet das:
Teure oder „ungünstige“ Verträge können durch die Entscheidung des Verwalters faktisch beendet oder entlastet werden, weil künftige Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllt werden.


6. Darf der Schuldner aus seinem insolvenzfreien Vermögen einzelne Insolvenzgläubiger befriedigen?a) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14.01.2010 – IX ZR 93/09

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 14.01.2010 (IX ZR 93/09) eine lange umstrittene Frage geklärt:

Die Vorschriften der Insolvenzordnung stehen der Befriedigung einzelner Insolvenzgläubiger aus dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners während des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht entgegen.

Sachverhalt (verkürzt)
  • Eine Insolvenzverwalterin verklagte einen Landkreis auf Rückzahlung von Gebühren, die der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Zulassungsstelle gezahlt hatte.

  • Die Zahlung erfolgte aus dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners (also nicht aus der Masse).

  • Die Behörde hatte die Zulassung eines neuen Fahrzeugs von der Begleichung rückständiger Gebühren abhängig gemacht.

  • Amts- und Landgericht wiesen die Klage der Verwalterin ab.

  • Die Verwalterin legte Revision ein.

Der BGH bestätigte die Vorentscheidungen und wies die Revision der Verwalterin zurück.

Wichtige Kernaussagen des BGH
  1. Keine Verfügungsbefugnis der Verwalterin über insolvenzfreies Vermögen
    Die Zahlung erfolgte aus Mitteln, die nicht zur Insolvenzmasse im Sinne der §§ 35, 36 InsO gehörten.
    Über dieses Vermögen besitzt der Verwalter keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO).

  2. Kein Verstoß gegen die guten Sitten
    Die Durchsetzung berechtigter Forderungen verstößt nur dann gegen die guten Sitten, wenn sich der Gläubiger unlauterer Mittel bedient.
    Die Tatsache, dass die Zulassungsbehörde die Neuanmeldung von der Begleichung der Altgebühren abhängig machte, begründete nach Auffassung des BGH keinen sittenwidrigen Druck.

  3. Kein Bereicherungsanspruch des Schuldners (§ 812 BGB)
    Die Zahlung erfolgte nicht ohne rechtlichen Grund, da die Gebührenforderung bestand und durch die Zahlung erfüllt wurde.

  4. Gleichbehandlung der Gläubiger gilt nicht für insolvenzfreies Vermögen während des Verfahrens
    Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung bezieht sich auf das Vermögen, das der Verwalter verwaltet, also auf die Insolvenzmasse.
    Freiwillige Zahlungen mit Mitteln, die nicht zur Masse gehören, sind durch §§ 87, 89 InsO nicht untersagt.

Der BGH stellt ausdrücklich fest, dass der Schuldner nicht gehindert ist, aus seinem insolvenzfreien Vermögen bestimmte Gläubiger zu befriedigen.


7. Besonderheit: Wohlverhaltensphase (§ 295 InsO)

Wichtig ist die zeitliche Abgrenzung:

  • Die oben dargestellte BGH-Entscheidung betrifft die Phase des eröffneten Insolvenzverfahrens.

  • In der Wohlverhaltensphase nach Aufhebung des Verfahrens (also nach Ankündigung der Restschuldbefreiung) gilt § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO:
    Der Schuldner darf zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger grundsätzlich nur an den Treuhänder zahlen und keinem Gläubiger einen Sondervorteil verschaffen.

Dieses Verbot gilt also erst ab der Wohlverhaltensphase.
Für Zahlungen, die der Schuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens aus seinem insolvenzfreien Vermögen leistet, findet es keine Anwendung (BGH, Beschl. v. 18.12.2008 – IX ZB 249/07).


8. Konsequenz für die Praxis
  • Der Schuldner darf über seinen unpfändbaren Betrag frei verfügen.

  • Er kann davon Miete, Lebensunterhalt, Versicherungen, aber auch Finanzierungsraten (z.B. für ein Auto) zahlen.

  • Er darf sogar – in Grenzen – einzelne Insolvenzgläubiger aus diesem insolvenzfreien Vermögen bevorzugt bedienen.

  • Aber: Neue Schulden während des Verfahrens bleiben bestehen und werden von der Restschuldbefreiung nicht erfasst.

  • In der Wohlverhaltensphase ist besondere Vorsicht geboten: Hier greift § 295 InsO, der Sondervorteile einzelner Insolvenzgläubiger untersagt.

 

Hermann Kulzer MBA
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Insolvenzrecht

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Verfasser: Hermann Kulzer
 
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